Teil 2: Wo sind nur die Gruppen hin? – Gruppenpsychotherapie für Menschen mit Psychosen während der Corona-Pandemie

Nahezu täglich lässt sich in der journalistischen Berichterstattung verfolgen, welche Auswirkungen die Maßnahmen gegen das Covid-19-Virus auf die Psyche, bspw. auf Menschen mit Depressionen oder Angsterkrankungen oder welche Effekte Kontaktbeschränkungen und soziale Isolierung auf besonders vulnerable Gruppen wie Kinder, Jugendliche und Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, haben. Glücklicherweise können Dank der Anstrengungen der psychotherapeutischen Berufsverbände Video- und Telefontherapien im Einzelsetting während der Corona-Pandemie Psychotherapien weitergeführt werden. Das ist sinnvoll und wichtig. Etwas fällt dabei jedoch auf: Über Menschen mit Psychosen spricht kaum jemand, schon gar nicht wie es ihnen ergeht, welche Auswirkungen die Umstellung auf telefonischen oder videogestützten psychotherapeutischen Kontakt hat und die zurzeit nicht stattfindenden Gruppenpsychotherapien.

Dass Maßnahmen gegen die Verbreitung des Corona-Virus meist schwerere Auswirkungen auf Menschen mit Psychosen und die Symptomatik von psychotischen Erkrankungen haben als auf die Allgemeinbevölkerung, scheint auf der Hand zu liegen (Vgl. Kozloff et al. 2020)[1]. Durch das Wegbrechen der Gruppenpsychotherapien für Menschen mit Psychosen, geraten gerade solche Menschen mit Schwierigkeiten soziale Kontakte zu initiieren und zu halten in eine schwierige Lage: mit dem Wegfall der Gruppen(-struktur) geht nicht nur der Verlust wichtiger sozialer Kontakte zu den Gruppenmitgliedern und Psychotherapeut*innen einher, es fehlt die Funktion der Gruppe einen Ort zu generieren, an dem geschützte Kontakte möglich sind. Der Abbruch solcher in den Alltag der Gruppenmitglieder integrierten therapeutischen Beziehungen führt nach wenigen Tagen oder Wochen zu einer Verschlechterung auch der psychotischen Symptomatik. Die Gruppe kann so auch nicht die hohe psychosoziale Belastung, den einhergehenden Stressanstieg auffangen und Rückhalt bieten, der durch soziale Distanzierung und Kontaktbeschränkungen entsteht. (Vgl. Kozloff et al. 2020)[2]. Dazu kommt, dass der soziale Rückzug erneut wahnhaftes Denken hervorrufen kann.

Dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zur Umwandlung der Gruppenpsychotherapien in Einzeltherapien empfiehlt, erscheint mit dem Blick auf die psychotherapeutische Versorgungssituation schlicht wie eine Farce. Für diejenigen, die bislang in Gruppentherapien waren, bedeutet dies weniger Therapiezeit zu haben als Patient*innen, die sich bislang in Einzeltherapie befinden. Der Grund liegt darin, dass Gruppen, die durchschnittlich aus 6 – 8 Teilnehmer*innen bestehen, aus Kapazitätsgründen nicht in das Einzelsetting umgewandelt werden können. Wie sollen Gruppenpsychotherapeut*innen zur normalen Arbeitsbelastung, die bereits hoch ist, noch ihre Gruppenpsychotherapiepatient*innen in Einzeltherapien auffangen und mit ihnen arbeiten? Hier verlieren alle durch die Blindheit der politischen Entscheidungsträger vor der realen psychotherapeutischen Versorgungssituation und auch gerade durch die Weigerung bzw. Verunmöglichung von Gruppenpsychotherapien per Video. Allein den Datenschutz als Begründung vorzuschieben genügt hier nicht. Wichtige und über lange Zeit aufgebaute therapeutische Beziehungen und die Kohäsion der Gruppen zerbrechen. Es wird schwer genug werden, diese wieder zu etablieren und neu zu stärken. Diese akute Situation in Zeiten der Corona-Pandemie spiegelt eine oft vergessene (oder ignorierte) Versorgungs-Realität von Menschen mit Psychosen wider (noch mehr, wenn diese Gruppenpsychotherapien in Anspruch nehmen). Der Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung ist mit hohen Hürden für Menschen mit Psychosen verbunden und auch die Bereitschaft der Behandler*innen mit diesen therapeutisch zu arbeiten oftmals nicht gegeben aus Unwissen oder Vorurteilen (Schlier et al. 2016)[3].

Wenn die Möglichkeit bestünde oder politisch durchgesetzt wird, Gruppentherapien für Menschen mit Psychosen im virtuellen Raum durchzuführen als Ersatz für die ausfallenden Präsenzgruppentherapiesitzungen, sollten drei Dinge nicht vergessen werden: Psychotherapie im digitalen Format ist und kann kein Ersatz sein für das, was in Gruppentherapien geschieht, die im Präsenz-Modus durchgeführt werden. Dies gilt insbesondere bei Menschen mit Psychosen. Schließlich ist die Videotherapie sowohl eine Reduzierung als auch eine Entgrenzung des Raums. Dies in Hinsicht auf einen Wechsel der Drei-Dimensionalität in eine Zwei-Dimensionalität als auch eine potentiell grenzlose Öffnung des Raums, was sowohl das Eindringen von äußeren Störungen in den virtuellen Raum betrifft sowie ein schwer kontrollierbares Ausbrechen des inneren Raums mit dem was dort gesprochen und phantasiert wird in eine potentiell grenzenlose Virtualität (Weinberg, H. 2020)[4]. Dies kann Ängste bei den Gruppenteilnehmer*innen hervorrufen aber auch Wahnideen Vorschub leisten. Und wie ist ein gemeinsamer Blick auf etwas Drittes möglich durch den Bildschirm, vor welchem die Gruppentherapieteilnehmer*innen sitzen? Kann so eine psychosenpsychotherapeutische Arbeit gelingen, bei der auch das Übertragungsgeschehen Auswirkungen auf das Fühlen im Körperlichen hat, nun aber in einem körperlosen Raum stattfindet? Implizieren die, bei der Gruppentherapie per Video bestehenden durchlässigen Grenzen nicht zumindest das Risiko einer Exazerbation psychotischer Symptome?

Nicht zu vergessen ist ein letzter aber damit eminent wichtiger Punkt: Menschen mit Psychosen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung weniger Möglichkeiten und Zugang zu den technischen Medien wie Laptop oder Internetzugang, die es für eine videogestützte Gruppenpsychotherapie braucht (Schultz-Venrath 2020, Brown 2020)[5].

 

[1]Kozloff, N., et al. (2020). "The COVID-19 Global Pandemic: Implications for People with Schizophrenia and Related Disorders." Schizophrenia Bulletin. S. 2.

[2]Kozloff, N., et al. (2020). "The COVID-19 Global Pandemic: Implications for People with Schizophrenia and Related Disorders." Schizophrenia Bulletin. S. 2.

[3] Schlier, B., et al. (2017). "Chancengleichheit in der ambulanten Therapie: Ein Experiment zur Bereitschaft von niedergelassenen Psychotherapeuten, Patienten mit Schizophrenie zu behandeln." Verhaltenstherapie 27(3): 161-168.

[4] Weinberg, H (2020). Vom Stuhlkreis zum Bildschirm – Online-Gruppenpsychotherapie. Gruppenpsychother. Gruppendynamik 56/2020. S. 172-178.

[5] Schultz-Venrath, U (2020). Die SARS-CoV-2-Pandemie als Anti-Gruppen-Ereignis. Gruppenpsychother. Gruppendynamik 56/2020. S. 107.

Brown, E et al. (2020). The potential impact of COVID-19 on psychosis: A rapid review of contemporary epidemic and pandemic research. Schizophrenia Research. https://doi.org/10.1016/j.schres.2020.05.005

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